top of page

Wieso Tanzania?
Der Ursprung des Projekts

Die Worte eines 16-jährigen Jungen, «Vielen Dank Lieber Gott», ausgesprochen mit einer unendlichen Dankbarkeit, haben mein Herz berührt und mich nicht mehr losgelassen.

 

Als ich im Jahr 2023 erstmals nach Tanzania reiste, war dies mehr Zufall als gezielt gewählt. Vielleicht kann man es auch Bestimmung nennen. Nach meinem Abschluss als Physiotherapeutin in der Schweiz arbeitete ich dort etwa ein Jahr. Dann fragte ich mich, ob dies alles ist, was die Welt zu bieten hat. Ich denke, jeder kommt irgendwann an diesen Punkt. Daher entschloss ich mich zu reisen und etwas ganz Neues zu erleben. Ich suchte nach Möglichkeiten für Freiwilligenarbeit im Ausland und stiess über meinen Bekanntenkreis auf die Elimu kwa maisha Foundation in Tanzania. Also machte ich mich auf den Weg dahin und arbeitete als einzige Physiotherapeutin in einem Zentrum mit beeinträchtigten Kindern. Dieses Zentrum wird vor Ort nur von einheimischem Personal geführt und durch einen Verein mit Schweizer Ursprung finanziert.

 

Viele der Kinder im Zentrum hatten vor allem geistige Beeinträchtigungen, bei denen Physiotherapie nicht indiziert war. Jedoch gab es einen Jungen namens Saidi, der meinen Entschluss, eine Physiopraxis in Zanzibar zu eröffnen, stark beeinflusst hat. Deshalb möchte ich meine Erfahrung mit Saidi gerne mit dir teilen.

 

Ich kenne kein genaues Alter von Saidi, schätze ihn aber auf etwa 16 Jahre. Obwohl niemand seine Diagnose genau kannte, bin ich mir sicher, dass er seit seiner Geburt an Cerebralparese leidet. Als ich Saidi kennenlernte, fiel mir sofort seine neugierige, intelligente und ehrgeizige Art auf. Er erzählte mir, dass er bereits sein ganzes Leben an den Rollstuhl gebunden ist und seine Beine weder spüren noch bewegen kann. Bisher habe er noch nie Therapie erhalten. Dies zu hören, war sehr tragisch für mich. Jedoch wusste ich gleichzeitig, dass prognostisch somit noch alles offen ist. Hätte er jahrelange Therapie hinter sich, ohne dass sich der Zustand verändert hat, müsste man entweder den Therapeuten hinterfragen, oder akzeptieren, dass eine Verbesserung nicht möglich ist oder sehr lange dauert. Ohne grosse Erwartungen starteten wir gemeinsam die Therapie. Bereits innerhalb der ersten 45 Therapieminuten merkte Saidi, wie sich etwas in seinem Körper veränderte. Seine Aussage während der Therapie «Vielen Dank Lieber Gott» ging mir sehr nah. Von diesem Tag an führten wir täglich eine Therapiesitzung durch. Die anderen Kinder sowie die einheimischen Mitarbeiter im Center wurden neugierig und beobachteten immer häufiger die Therapien. Gleichzeitig spürte ich, wie meine Arbeit, von ihnen belächelt wurde. Dies war Saidi und mir völlig egal, denn wir beide waren uns der täglichen Fortschritte bewusst, auch wenn diese von aussen noch nicht sichtbar waren. Es ging sehr schnell voran und Saidi überraschte mich jeden Tag aufs Neue. Es ging keine ganze Woche, bis er seine Beine erstmals spüren konnte. Auch die Muskelaktivität der Beine nahm sehr schnell zu. Seine Muskeln waren stark verkürzt, wenn man ihn aus dem Rollstuhl nehmen wollte, blieben die Beine gebeugt und konnten den Boden nicht berühren. Nach nicht einmal 2 Wochen konnte Saidi die Beine plötzlich mehrheitlich gestreckt auf dem Boden lassen und erstmals mit grosser Unterstützung stehen.​

Saidi
Mobilisation aus Rollstuhl
Stehen mit Unterstützung

Ich werde diesen Moment voller Freude nie wieder vergessen. Es machte mich unglaublich stolz. Saidis deutlich spürbare Freude überwältigte mich unbeschreiblich. Gleichzeitig machte es mich unendlich traurig zu wissen, dass das Potenzial dieses neugierigen und intelligenten Jungen bisher nicht ansatzweise ausgeschöpft wurde. Er hatte nie die Möglichkeit sein Funktionslevel zu verbessern. Man setzte ihn in einen Rollstuhl und schrieb ihn als gehunfähig ab. Niemand weiss, welche Fähigkeiten er heute alle hätte, wenn man mit ihm bereits als Kleinkind Therapie durchgeführt hätte.

 

Doch was bringt es uns in der Vergangenheit nach Fehlern zu suchen?

Wir versuchten gemeinsam die aktuelle Situation in Angriff zu nehmen und so viel wie möglich aus seinem Potenzial herauszuholen. Er äusserte sehr schnell seinen Wunsch Laufen zu können. Worauf wir diszipliniert mit zwei Therapieeinheiten täglich hinarbeiteten. Leider waren die 2.5 Monate nicht genug, um dieses Ziel endgültig zu erreichen. Ich würde jedoch nicht ausschliessen, dass Saidi mittels guter Therapie die Fähigkeit erlangen kann mit einer geeigneten Gehhilfe zu laufen.​

Hier drei Videos wie wir gelaufen sind zu verschiedenen Zeitpunkten:

06.08.2023

31.08.2023

14.09.2024

Es war nicht leicht, Saidi nach 2,5 Monaten harter Arbeit zu verlassen, ohne unser Ziel erreicht zu haben.

Auch als ich wieder in der Schweiz war, dachte ich oft an ihn. Ich fragte mich, wie viele weitere Kinder mit Potenzial und ohne optimale Therapie es in Tanzania gibt. Dieser Gedanke liess mich nicht los, und ich hatte das Gefühl, etwas daran ändern zu müssen.

 

Ich wollte nichts überstürzen und durchdacht vorgehen. Da ich keine Ahnung vom Gesundheitssystem in Tanzania hatte und auch kaum einheimische Physiotherapeuten und -therapeutinnen kannte, beschloss ich mich erneut auf den Weg nach Tanzania zu machen. Diesmal um in einem Spital auf Zanzibar als Physiotherapeutin zu arbeiten. Es war ebenfalls eine sehr lehrreiche und spannende Zeit. Da jedoch die Arbeitsmoral und Arbeitsweise von mir und einheimischen Therapeuten und Therapeutinnen sehr verschieden war, wurde mir schnell klar, dass eine Zusammenarbeit viele Schwierigkeiten mit sich bringt.

 

Dies löste in mir den Entschluss aus, eine eigene Physiotherapiepraxis zu eröffnen.

Erarbeiten selbständiges Sitzen

Fertigkeiten wie Sitzen, Stehen und Gehen fordern eine hohe Fähigkeit an Rumpfstabilität. Solang diese Fähigkeit nicht vorhanden ist, können die genannten Aktivitäten nicht ausgeführt werden. Saidi zeigte sich ebenfalls mit einem grossen Rumpfkraftdefizit, welches jedoch bereits nach einem Jahr verbessert werden konnte.

 

In den folgenden Videos hatte er zweimal die Aufgabe zu sitzen.

Im Video 2023 fällt ihm dies noch sehr schwer und er schwankte stark vor und zurück, während er im Jahr 2024 erstmals allein frei sitzen konnte. Dabei fallen zwar noch Kompensationsmechanismen auf, wie z.B., dass er die Beine zusammendrückt, dennoch ist ein Fortschritt sichtbar.

2023

2024

Improvisieren mit vorhandenen Ressourcen

Bereits bei meinem ersten Aufenthalt in Tanzania merkte ich schnell, dass die Ressourcen stark beschränkt sind. Also blieb mir nichts anderes übrig als mit Vorhandenem kreativ zu werden.

Veronica, ein Mädchen aus dem Zentrum, leidet an einer starken Kontraktur ihres linken Arms. Damit meint man eine Bewegungseinschränkung, die durch Verkürzung von Muskeln, Sehnen oder Bändern sowie durch Narbenbildung oder Gelenkversteifung verursacht wird.

 

Um der Kontraktur entgegenzuwirken und die Beweglichkeit des Arms zu verbessern, habe ich ihr aus vorhandenem Material eine Schiene gebaut, die sie zwischendurch tragen konnte. Natürlich war das Holz viel zu schwer und die Schiene nicht perfekt konstruiert, jedoch konnte die Beweglichkeit verbessert werden.

Kontraktur Arm
Armorthese aus Holz handgefertigt

Auch Saidi leidet aufgrund seiner spastischen Parese an Beweglichkeitseinschränkungen, vorwiegend der Beine. Dabei werden sie vor allem in die Adduktion (zusammen) und Flexion (Beugung) gezogen. Dies wird durch das Sitzen im Rollstuhl noch begünstigt. Für ihn habe ich ebenfalls eine Schiene konstruiert, die diesem Prozess entgegenwirken soll.

Beinorthese aus Holz handgefertigt
Beinorthese Kontrakturprophylaxe

Da es auch keine Beinpresse gab, um die Kraft in Saidis Beinen zu trainieren, wurde ebenfalls mit einer Wolldecke und der Wand improvisiert. Für uns Helfer sicher anstrengender aber der Zweck wurde durchaus erfüllt.

bottom of page